NACHRUF AUF WWW.NACHTKRITIK.DE VON WOLFGANG BEHRENS

Veröffentlicht am | Sonntag, den 10.01.10 | Christoph Schlingensief

Das hat mich und viele sehr gefreut, dass nachtkritik.de auch einen nachruf geschrieben hat,
den ich jetzt hier reinstelle…:

Eine Rose für Achim

4. Januar 2010. Achim von Paczensky ist tot. Ich habe erst gestern davon erfahren, denn die FAZ, die im Silvesterurlaub mein Fenster zur Welt war, hat es natürlich nicht gemeldet. Vielleicht hätte ich noch vor ein paar Tagen auf die Frage, was eigentlich Achim von Paczensky mache, gesagt, dass ich es nicht wisse und es mich eigentlich auch nicht interessiere. Nun aber, da er tot ist, bin ich ehrlich traurig. Denn wenn ich es recht besehe, verdanke ich Achim von Paczensky einige der schönsten Momente meiner Theaterzuschau-Karriere. Also meines Lebens.

1998 war Achim von Paczensky der Spitzenkandidat der Schlingensief-Partei Chance 2000, und als solcher tauchte er sogar auf meinem Wahlzettel auf (ich habe ihn, das muss ich der Ehrlichkeit halber sagen, damals nicht angekreuzt). Am Abend der Bundestagswahl, am 27. September, veranstaltete das Schlingensief-Team in der Berliner Volksbühne eine irrwitzige Wahlparty ohne ARD und ZDF, aber mit gefaketen Ergebnissen. Irgendwann ertönte überlaut irgendeine monumentale Musik, das Publikum im Saal sprang begeistert auf, und Achim von Paczensky zog ein – grenzenloser Jubel!

Spitzenkandidat und epischer Protagonist

Der Augenblick atmete eine wunderbare Anarchie: Nicht eines dieser glattgeschliffenen Medienprodukte, die sich Politiker nennen, wurde adoriert, gefeiert wurde hier: ein Mensch! Ein Mensch mit Behinderung obendrein! Schlingensief hat damals im Grunde relativ zynisch massenmediale Inszenierungsstrategien für sich und seine Sache genutzt, vermutlich war alles kühl kalkuliert. Und doch hat es mir die Tränen in die Augen getrieben. Achim von Paczenskys wegen.

Dann erinnere ich mich an die Feierlichkeiten am Berliner Ensemble zum 100. Geburtstag von Bertolt Brecht: Dort richtete Schlingensief im Rahmen eines Fragmentschau-Spektakels die Uraufführung einiger “Rosa Luxemburg”-Entwurfs-skizzen von Brecht an. Als Protagonisten standen der dicke Werner Brecht (auch er ist vor einigen Jahren verstorben) und Achim von Paczensky im Mittelpunkt – ein komisches Duo, wie es auf deutschen Bühnen vorher und nachher wohl nicht mehr zu sehen war. Eine der Hauptattraktionen im Spiel der beiden war, wie sie sich gegenseitig daran erinnerten, was als nächstes zu tun sei. Sie machten das mit halblaut gezischten Zurufen oder mit nur äußerst schlecht versteckten auffordernden Gesten. Manches Mal gerieten sie auch in Streit. Epischer ist Brecht nie aufgeführt worden, witziger auch nicht.

Das Grundrecht auf eine Bühne

Nach einer der nur drei Aufführungen (die ich alle gesehen habe, da jeden Abend etwas völlig Anderes passierte: einmal prügelte sich Schlingensief auch mit einem Zuschauer, wovon ein anderes Mal zu berichten wäre) stritt ich mich im Garten der BE-Kantine mehrere Stunden lang mit Freunden, ob die behinderten Darsteller bei Schlingensief instrumentalisiert würden. Ich verneinte das vehement, und ich weiß noch, dass ich das Argument Herbert Feuersteins “Jeder Behinderte hat ein Recht auf Verarschung” abwandelte in: “Jeder Behinderte hat das Recht auf eine Bühne.” Warum sollte Achim von Paczensky nicht dort stehen, wo Gert Voss und Martin Wuttke standen?

Weitere Achim von Paczensky-Erinnerungssplitter aus meinem Fundus: In “Talk 2000” stellt Talkmaster Schlingensief dem Talkgast Ingrid Steeger den (damals bereits verstorbenen) Dramatiker Heiner Müller vor, der sich als niemand anderer als Achim von Paczensky entpuppt. Schlingensief lässt die beiden vor laufenden Kameras allein, was von Paczensky in stoischer Ruhe meistert, die Steeger jedoch aus der Fassung bringt. Und dann geistert mir noch ein ekstatischer Schlingensief-Refrain im Kopf herum, den ich nicht mehr zuordnen kann: “Achim von Paczensky verteilt die Geschenke, Achim von Paczensky verteilt die Geschenke!” (oder hieß es: “Achim von Paczensky serviert die Getränke!”?)

Es ist eine der großen Fähigkeiten von Christoph Schlingensief, dass er Menschen zum Leuchten bringen kann. Den Menschen Achim von Paczensky hat er zum Leuchten gebracht. Beiden sei Dank dafür. Ich lege für Achim von Paczensky eine virtuelle Rose nieder.

(wolfgang behrens)

ACHIM IST BEERDIGT !

Veröffentlicht am | Samstag, den 09.01.10 | Christoph Schlingensief

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War doch trauriger als ich gedacht hatte. man macht sich ja vorher seine gedanken. kerstin meinte auf der hinfahrt , dass sie sicher sehr heulen würde. auf der rückfahrt meinte sie dann aber, dass sie doch nicht heulen musste. beim werner brecht hätte sie allerdings rotz und wasser geheult. norbert, ihr mann, hörte zu. kerstin meinte auch, dass der achim ein feiner gewesen wäre, und dass er wahrscheinlich doch zuviel gesoffen hätte. helga hätte gemeint, er hätte abends gerne mal bier getrunken. und die helga täte ihr sehr leid. der achim hätte sie kerstin mal zum wein eingeladen, als wir in duisburg für kirche der angst geprobt haben. da wäre sie schon sehr verwundert gewesen. und die helga lässt der einfach oben im hotelzimmer liegen. da haben aino und ich sie allerdings in der richtung korrigieren müssen, dass helga in duisburg wegen eines krankenhausaufenthalts nicht dabei sein konnte, und dass dafür kerstins mann norbert oben im zimmer geblieben wäre. norbert bestätigte das. kerstin tat verwundert. na jedenfalls ist kerstin immer mal verwirrt gewesen. achim wollte sie wohl mal heiraten, aber das wollte sie dann nicht. andererseits wäre es natürlich doch interessant gewesen sich das mal vorzustellen. und nun sei es eben norbert. und wie der wäre wüßten wir ja alle… da würde sie lieber nix mehr zu sagen… so ungefähr die anreise. und dann in wildau am friedhof standen bereits leo, julian und sogar tobi, der mittlerweile keine bühnenbilder mehr plant und baut, sondern lieber eine weinlehre begonnen hat. in der schweiz. da wo er herkommt. winzer will er werden. und wir haben uns seit meiner diagnose vor 2 jahren eigentlich nicht mehr gesehen. war eine komische zeit mit uns , aber jetzt war es dafür umso schöner. achim hat uns sozusagen wieder zusammen gebracht. ich war einfach doch zu verkrampft in mancherlei hinsicht. und dann wird man bei so einer scheiße wie dieser krebszeit sogar einem seiner besten freunde gegenüber ungerecht… naja… schnee drüber… es war ganz schön kalt. und achims grab lag wirklich sehr schön zwischen zwei großen und einem kleinen baum. richtig exponiert. nicht in einer reihe, sondern einzeln. wer es mal besucheen will: (wenn man mit dem rücken zur kirche steht, links in den weg, ca. 30 meter geardeaus, dann wieder links und dann läuft man fast darauf zu. helga hatte auch einen kranz. darauf stand: deine heißgeliebte frau ! und helga hat auch am offenen grab, nachdem achims sarg bereits heruntergelassen worden war, ein ganz neues gedicht aufgesagt, was sie extra gelernt hatte. und als alle fertig waren, mit erde reinwerfen und blumen ablegen oder werfen, da ging sie nochmal vor das grab und sagte: “leider kann hans joachim nun unseren 6. hochzeitstag nicht mehr erleben.” sie verbeugte sich, ging zu frau westphal, hakte sich ein und ging langsam zuzrück zur kirche. danach sind wir noch zum großen teil in die cafeteria gegangen und da fiel allmählich die trauer von unseren seelen. helga hat viel erzählt, von achim, von früher, hat viele fragen zur gesundheit gestellt, hatte keinen hunger auf kuchen, schenkte mir zwei computerspiele-cds, unterhielt sich angeregt mit kerstin über die männer, das glück…. und das schönste war für mich bei allen zweifeln und grübelein zu gott und der frage des glaubens, ja, aber wie…. als helga mich plötzlich anschaute und sagte: sag mal christoph glaubst du an gott? und da habe ich gesagt: eigentlich schon…. und da antwortete sie sehr kräftig: “ich auch. weißt du,… mir ist doch schon sehr oft etwas sehr sehr schönes passiert, dass ich denke, dass kann nur ein gott gemacht haben !”   und da bin ich innerlich etwas zusammengesackt. vor glück und auch vor schmerz, dass helga, die in ihrem leben mehr als 50 elektroschocks bekommen hat, keine kinder bekommen durfte, viele zusammenbrüche und klinikaufenthalte hat und hatte, und nun auch ihren so geliebten achim verloren hat, soetwas sagte, war schlußendlich der beweis, dass glück und glauben, zufall und fügung, sünde und verbrechen außerhalb eines götllichen systems liegen müssen. helga ist für mich jedenfalls so eine art zeichen, dass mit ihr etwas passiert, was kein religionsjäckchen verdient hat! helga hat ihren eigenen draht! und da muß man wirklich sagen: das ist der weg ! da müssen wir hin. weg vom religionsjäckchen, hin zu dem kanal, der uns mit diesem göttlichen system verbindet, und der uns immer begleiten wird. im leben wie im tod… in keiner beschränkung, sondern in der vollen eigenverantwortung dessen, was man selber bereit ist zu sein. wer das in sich erkennt hat die möglichkeit weiter zu denkeen und zu fühlen und zu gehen als viele, die vor dem altar oder auf dem gebetsteppich oder der klagemauer halt machen. werden diese bilder nicht immer mehr zur frace ? was soll man vor einer mauer, vor einem altar, auf einem stückchen teppich? was sollen diese beschränkungen, die man uns da beigebracht hat. ich habe beim besten wissen und gewissen nichts gegen rituale. sie sind ausgesprochen wichtige mitarbeiter, aber die wirkliche magie des lebens ist das bekenntnis der eigenverantwortung ohne kreuzchen und gewimmer oder irgendwelcher paraadiesischen heilsversprrechen. wir sind doch alle wesentlich weiter als diese märchenparks. achims beeerdigung war zwar in einer kapelle, ob katholisch oder evangelisch konnte keiner genau erkennen. am anfang lief ein lieblingsschlager von ihm: Aurora Lacasa “Hier, wo das Meer zu Ende ist”  von 1974. (danke für den titel an die mitleser!)  irgendwas mit dem ufer, dass zu ende geht oder der tag, der zuende geht… sogar kerstin kannte den titel wie aus der pistole. erst war es fremd, doch dann stimmte es mehr als ein großer gott wir loben dich! und als ich oben was gesagt habe, mußte ich plötzlich sogar heulen. erst da habe ich begriffen was achim am meisten ausgemacht hat, und das war seine authentizität. das war achim und nichts als achim. da war wirklich mal jemand der, der er wirklich war !  und helga freut sich sicher über jeden anruf oder auch mal über einen besuch….

EINE HALBE STUNDE NACH DER GESCHEITERTEN HOCHZEIT – (siehe Text weiter unten – weitere Bilder folgen in Kürze).

Veröffentlicht am | Sonntag, den 03.01.10 | Christoph Schlingensief

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ACHIM IST GESTORBEN! – Beerdigung am 6.1.2010 auf dem Waldfriedhof von Wildau!

Veröffentlicht am | Freitag, den 01.01.10 | Christoph Schlingensief

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Traurig, sehr traurig! unser lieber freund Achim von Paczensky ist am 26.12.2009 an einem herzinfarkt gestorben. und wie das so ist bei den wirklichen stars des theaters, ist es selbst unserer eingeübten truppe kaum möglich mal in die fotoberge zu schauen und ganz schnell ein paar bilder zu suchen und zu schicken. für allen anderen quatsch haben wir genug zeit, aber wenn es um den geht, der zu den größten komikern und darstellern am deutschen theater geht, dann ist es doch zu anstrengend und alle millionen festplatten verschollen oder hoffentlich doch formatiert. ach ich bin auch sauer auf mich. hab nichts mit hier in finnland, wo wir gerade über neujahr hingefahren sind. und zu weihnachten hab ich achim mal eben aufs band gesprochen, weil seine festnetznummer nicht mehr in meinem handy war. wäre sie drin gewesen, dann hätte ich ihn vielleicht nochmal gesprochen. und was hätte ich gesagt? das übliche. hallo, na wie geht’s euch… was macht helga?… helga ist seine frau. die beiden haben 1998 während der zeit von chance 2000 geheiratet. jedenfalls wollten sie das, aber die standesbeamtin hat achims vorsprechen nicht ernst genommen, und als wir dann alle da waren, und achim und helga aus ihrem betreuten wohnen in wildau etwas verspätet mit dem bus ankamen, da kam achim nach 5 minuten wieder aus dem zimmer der standesbeamtin. völlig bleich, völlig erstarrt. und helga gleich in gebeugter haltung hinter ihm her… achim und helga haben dann erstmal eine zigarette geraucht,. und dann konnten sie sagen, dass die standesbeamtin achims vorsprechen nicht ernst genommen hatte. doch zum glück war dietrich kuhlbrodt dabei. oberstaatsanwalt war er da noch. und der hat dann gleich eine anzeige gegen die standesbeamtin erstattet, weil die standesbeamtin menschen wie achim und helga mit ihrem wunsch nach einer heirat nicht ernst genommen hat. wir sind dann noch alle zu einem chinesen gegangen glaube ich. da haben wir dann die hochzeit gefeiert. na zumindest gegessen. zu feiern gab es erstmal nichts, und am abend bekamen achim und helga von uns im wahlkampfzirkus der familie sperlich auf dem pratergelände das hochzeitsgeschenk überreicht: 2 fahrräder. zumindest das hatte geklappt. und achim war fest entschlossen die hochzeit nachzuholen, was den beiden dann auch tatsächlich ein halbes jahr später geland. seitdem sind sie nun verheiratet: achim und helga. und helga sitzt jetzt zuhause in wildau und sagt: sie sei sehr gefasst, und der achim sei ein ganz toller mensch gewesen, und ein großartiger schauspieler, hat sie gesagt ! und dass sie ihn sehr geliebt habe, und er sie auch. und dann sei ihm am 26.12. plötzlich so heiß geworden, dann schwindelig, dann habe er sich hingelegt, und sei kurz darauf gestorben. sie habe ihn jetzt schön angezogen. mit einer fliege. er wäre aufgebahrt gewesen am 30.12.. hätte gut ausgesehen, wie jemand, der schläft, aber er wäre ja tot. und sie wäre sehr gefasst. und am 6.1.2010 ist um 14 uhr auf dem waldfriedhof in wildau die beerdigung. das wäre sehr schön, wenn ein paar leute kommen würden. und da kommen wir dann auch habe ich ihr gesagt. und da werden sicher ein paar leute kommen, genauso wie damals zur beerdigung von werner brecht, der mit achim im wahlkampfzirkus die größte akrobatennummer der welt vorführte. eine trapeznummer. da mußte entweder werner brecht oder auch mal achim das vom zirkusdach herunterhängende seil festhalten, und zwar so, dass der andere dann auf dem seil sitzen konnte. und zum tusch musste der sitzende dann hepp rufen und die beine vom boden hochheben. somit hielt der andere das seil mit dem schweren partner ganz alleine und der sitzende mußte die balance halten, was für werner meist sehr schwer war. vor, während und nach dieser nummer kam es dann meist auch zu einigen auseinandersetzungen zwischen werner und achim. bernhard schütz brachte den vergleich, dass achim und werner wie walter matthau und jack lemon wären. und das stimmte… nur mit den unterschied, dass achim und werner absolut authentisch waren!

kennengelernt habe ich achim 1993, als ich damals auf dem ehemaligen ddr-militärgelände massow den film terror 2000 gedreht habe. da fuhr ich einmal nach teupitz, dem benachbarten ort. und da sah ich wie ein downsyndromjunge mit seiner einkaufstasche den andenken-und ramschstand eines russen zusammenfaltete. der downsyndrom-junge muß sich irgendwie über diesen russenramsch geärgert haben. komische fellmützen, militärabzeichen, nachtsichtgeräte und diese komischen russischen puppen. diese händler gab es damals noch in mengen. mittlerweile verkaufen sie nur noch am berliner dom ihre mauerreste und fellmützen aus china oder ddr-abzeichen von nepalesischen oder indischen kindern hergestellt. ich bin damals gleich auf den parkplatz gefahren und dann über das gelände der landesklinik gelaufen. das war ein wirkliches horrorkabinett. zimmer mit 12 bis 16 mann belegung. auf den wegen schreiende, sich schlagende oder herumwippende schwerstbehinderte, dazwischen andere patienten, die aussahen als wären sie gerade aus einem brennenden haus geflüchtet. in dieser landesklinik lebte also achim. ich habe dann tatsächlich den professor geefunden, und ihn direkt gefragt, ob es nicht leute bei ihm gäbe, die mal lust hätten raus zu kommen und bei uns im film mitzuspielen. er hat sich dann erst die geschichte, bzw. die rolle schildern lassen, und dann liess er 2 männer holen: achim und frank koch. frank war super gesprächig, war wohl epileptiker und lebte auch schon seit ewigkeiten in der klinik. und achim war völllig still. achim und frank hatten aber beide dasselbe hobby: rauchen und kaffee trinken… nonstop!.. und dann haben die beiden tatsächlich mitgespielt. und für alle war es natürlich das erstemal . für alfred edel-gott hab ihn seelig-, für die baronin-gott hab sie seelig-, und für frank, der wohl jetzt in cottbus lebt, und achim- gott hab ihn seelig. soviele sind jetzt schon gestorben. auch rosie bärhold von der volksbühne, die sich direkt beim ersten theaterauftritt von achim und frank an der volksbühne kümmerte und sich mit achim und später auch mit helga wahnsinnig innig befreundete. achgim und frank spielten im film die söhne der asylbewerberheimleitung und mußten die eingesperrten insassen immerwieder ermahnen und darauf hinweisen, dass sie nur faul herumliegen. ich habe damals sehr viel gelacht, weil ich noch nie mit leuten wie achim oder frank zu tun hatte. die hatten ihren eigenen stil. da war nichts zu frisieren oder groß zu verändern, die waren eben so wie sie waren. und das war ja auch das besondere an alfred edel und selbst bei so leuten wie udo kier, die sicher der überzeugung waren, dass sie sehr wandlungsfähig wären, aber in wirklichkeeit waren sie doch fast immer dieselbe person….. jedenfalls kam dann die volksbühnenzeit und achim und frank waren sowohl bei 100 jahre CDU als auch bei KÜHNEN94 dabei. und sie waren wirklich unschlagbar. beim ersten auftritt mußten sie das lied singen: ein herz für kinder. als sie anfingen gröhlte die volksbühnenkundschaft wie wild herum… und amüsierte sich. als die beiden von der bühne kamen waren sie sehr unzufrieden und meinten die leute hätten sehr blöd gelacht. sie ausgelacht. ich habe ihnen dann gesagt,. dass sie auch sehr komisch wären. sie wären sogar besser als die vielen komiker, die man in deutschland immer so wahnsinnig lustig fände. und am nächsten abend sind sie dann wieder raus und sind praktisch nicht mehr abgegangen. sie haben das lied solange gesungen bis die leute aufgehört haben zu lachen. und dann kamen sie nach hinten, wir alle hinter der bühne nassgeschwitzt, die beiden sehr entspannt. und sagten: “siehste, die haben gelacht ! siehste! weil wir das wollten! “….. und dann gingen sie beide wieder eine rochen… wie sie es nannten und natürlich schnell noch kaffee trinken. achim war dann nach kühnen ständig dabei. und seine ganz große rolle war die als HEINER MÜLLER! in rocky dutschke. hätte die volksbühne damals schon ahnung von video gehabt, dann hätte sie einen besseren kameramann verpflichtet und nicht irgendeine ddr-altlast damit beauftragt völlig verschwenkte bilder aufzunehmen. egal… fotos gibt es leider auch keine, weil auch meine gruppe versagt hat… also lieber sich selber die schuld geben. —- und das theater ging weiter und weiter… und achim machte die ersten filmaufnahmen an der volksbühne… sehr lange bevor frank castorf irgendwas von video in seine produktionen geholt hat, hatte achim schon seinen großen auftritt mit regina und den hundewelpen. live-übetragung mit einer an der decke angebrachten videokamera! 1994, die erste LIVEÜBERTRAGUNG DER VOLKSBÜHNE. eine methode, die wir dann in rocky dutschke und schlacht um europa so etabliert haben, dass auch frank castorf nachzog.

frank koch zog dann irgendwann weg aus berlin und kam in ein anderes heim. und achim traf helga, die zu ddr-zeiten über 40 elektroschocks bekommen hatte. das muß man sich mal vorstellen. kann man sowieso nicht. 40 elektroschocks und helga gibt es immer noch… also helga…  achims große liebe und helgas große liebe ! und die vielen idioten, die meinten dass da behinderte ausgebeutet würden, wurden auch langsam stiller. und als wir dann freakstars 3000 gedreht haben, da wurden aus früheren feinden plötzlich sogar freunde und unterstützer. ein paar bleiben immer… aber das ist eben das deutsche gen. da muß es immer welche geben, die nichts mitbekommen und die anderen nerven oder anstacheln… damit wir uns bloß nicht wieder alle für eine sache entscheiden. aber bei der frage der “behindertentheater” kann ich nur sagen, dass dieses blöde gerede: schau mal… die kleine behinderte da, die kann zwar keinen text und glotzt auch blöd rum, aber wie süß sie da das rote band genommen hat und darüber gestolpert ist,… das war schon reizend… gut gemacht, du kleines behindertes krüppelchen…” wie ich sowas hasse, und wieviele theatergruppen genau auf diesem belohnungs- und vergleichslevel stecken geblieben sind. ich weiß nur, dass achim und ich auch mal streit hatten. und dass das auch sehr gut war. und dass horst oder achim oder helga eben ganz andere register ziehen , um wieder andere dinge durchzusetzen. und dass sie manchmal türen aufstossen, die wir durchimmunisierten leidensbeauftragten am theater oder in der kultur, den redaktionszimmerchen, diese antennen schon lange abgebrochen und verrostet haben. oder noch nie hatten. zuletzt war achim noch bei der kirche der angst dabei. und in amsterdam bei unserem wirklich viel schöneren gastspiel als beim theatertreffen kam er auf mich zu und gab mir einige tips was ich machen müsse, damit die spritzen nicht zu so beulen führen…. da hätte er sich jetzt bei seinem arbeitskollegen in der gärtnerei, wo der auch arbeite, erkundigt ! so war der achim. und auf unserer hochzeeit saß er da und hat der helga wohl ausführlich berichtet. jedenfalls hat sie mir das gestern auch erzählt. sie wußte alles. auch wenn achim kein schneller typ war, kein zuquatscher, so hat er alles genau registriert. und in vielem wird er uns fehlen ! er war im gleichgewicht dieser abende wie z.b. bei kunst & gemüse eine ganz ganz wichtige dosis, die das andere erst erträglich machte. ein blick von achim reichte, um die ganzen peinlichen ausrutscher der darsteller zu legitimieren oder zu neutralisieren oder meist sogar extrem aufzuwerten. wer ihn nachspielen wollte hatte verloren ! und auch wenn ich mich nicht auf das jenseits freue, weder auf alfred noch auf meinen vater gerade, so muß ich doch sagen, dass ich nicht richtig traurig bin. achim ist jemand, auf den ich mich sehr freue. aiuch wenn ich gerade immer mehr denke, dass die konsistenzfrage im jenseits jedes normale treffen nach irdischen maßstäben sicher unmöglich macht. momentan ist das mein größtes unglück. aber wer weiß… der achim weiß schon wie das geht. und ich lass mir noch lange zeit, aber vielleicht kann er da oben mal endlich für klarheit sorgen, dass gott und die heiligen nicht unbedingt von menschen wie achim gemacht worden sind. auch wenn helga zugestimmt hat gestern. ich sagte: “dann sehen wir uns ja später alle wieder. “und helga meinte: “ja genau! und sie wäre sehr gefasst!”….. also wer das hier liest, der soll es doch weitertragen. achim wird am 6.1.2010 um 14 uhr auf dem waldfriedhof in wildau beerdigt. ca. 30 minuten mit dem auto von berlin…

PS: Das Foto entstand am Tage der gescheiterten Hochzeit von Achim und Helga vor dem Standesamt von Königswusterhausen, 1998.

STERBEN LERNEN! (AKT 1)

Veröffentlicht am | Dienstag, den 29.12.09 | Christoph Schlingensief

STERBEN LERNEN (PROZESSION UND AKT 2)

Veröffentlicht am | Dienstag, den 29.12.09 | Christoph Schlingensief

STERBEN LERNEN (AKT 3)

Veröffentlicht am | Dienstag, den 29.12.09 | Christoph Schlingensief

STERBEN LERNEN (AKT 4)

Veröffentlicht am | Dienstag, den 29.12.09 | Christoph Schlingensief

Was mir heilig ist – Christoph Schlingensief (Deutschlandradio Kultur)

Veröffentlicht am | Sonntag, den 27.12.09 | Christoph Schlingensief

(…) ich wünsche uns allen einen guten weg ins neue jahr ! viel liebe, geborgenheit, glück und gesundheit ! wir sind gerade in finnland. sehr kalt und still….. und der himmel sehr sehr dunkel. denke weiter an den hypergott…. befreit mich wirklich, un dennoch muß ich mich gerade sehr liebevoll um maria, jesus und auch gott kümmern, weil sie mir in ihrer menschlichen beschaffenheit fast leid tun. was haben wir menschen da bloß gemacht? und wenn ich dann mit meiner mutter vor dem fernseher saß und den papstsegen über dvbt empfangen habe,…. und  dann hat dieser mann so gar keine ausstrahlung . und die vielen kirchengottesdienste im tv wirken wie schlechte aufführungen, dann tut mir das ritual der wandlung auch leid. das hat wirklich nichts im tv zu suchen. ich plädiere wahrscheinlich sowieso für eine kirche der bescheidenheit und abgeschiedenheit. also die einpersonenkirche habe ich ja schon bei attabambi pornoland gebaut und benutzt. und die war auf rollen. konnte überall hinrollen…. auch hinter den schrank… und wenn man drin stand, hat man seinen eigenen atem gespürt und war sehr bei sich. sehr allein und doch in einem zentrum. wie eine wurst in einer pyramide. die bleibt da merkwürdigerweise länger frisch als unter einer runden abdeckung. herzliche grüße, christoph s.
 

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Radiofeuilleton, Deutschlandradio Kultur vom 24.12.2009, 11:54 Uhr

Die Kunst vom Ende her betrachten – Christoph Schlingensief übers Sterben-Lernen

Veröffentlicht am | Sonntag, den 27.12.09 | Christoph Schlingensief

Die Kunst Vom Ende Her Betrachten – Christoph Schlingensief Übers Sterben – Lerne by Fischer, Karin – Deutschlandfunk
 

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Kulturfragen, Deutschlandradio Kultur vom 27.12.2009, 17:06

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