DIE FRANKFURTER RUNDSCHAUT HAT NOCHMAL NACHGEPRÜFT !

Veröffentlicht am | Donnerstag, den 01.04.10 | Christoph Schlingensief

(rechtschreibe-oder grammatikfehler bitte selber berichtigen! herzlichen dank!)
unsere welt, und damit meine ich vor allem die welt der theater-, film- und opernleute, der fernsehleute, ja auch der journalisten, der politiker, der jugendlichen sowieso und auch der tiere, besteht vor allem aus dem versuch selber auszutesten, ob man nicht vielleicht doch ein löwe sein könnte oder lieber eine kleine katze. der eine bezeichnet sich plötzlich als entwicklungshilfeminister, obwohl er selber noch gar nicht weiß, was das genau bedeutet (und wahrscheinlich nie ganz ergründen wird), und ein journalist versucht je nach themenstellung an einem tag, in wenigen stunden , soviel über das bei ihm in auftrag gegebene thema zu sammeln, zu hören und zu lesen, dass er dann möglichst glaubhaft seine zeilen abliefern kann. am liebsten lese ich die berichte im spiegel, der zeit oder auch in der SZ , FAZ und heute in der FR, wo ein journalist nochmal vom anerkannten wandkalender ausgehend, ein paar daten und ein paar fakten überprüft, um plötzlich festzustellen, dass da im falle von helene hegemann leider keiner genau wissen wollte, was die etwas ausprobierende autorin, filmemacherin, theaterliebhaberin, gesellschaftsbeobachterin und und und nun wirklich gemacht hatte, sondern einfach die große falschmeldungs – und demontagedampfwalze mehrere monate ungehindert über ganze berge von gelegentlich sogar seriös berichtenden zeitungen gerollt war. ich setze deshalb den heutigen artikel aus der FR hier in meinen BLOG, damit ich im nachhinein ein besseres gewissen bekomme. ich habe nämlich selber behauptet, dass helene nicht früh genug “danke, das war´s !” gerufen hat, “danke, ich habe genug gesehen und gehört!” . denn das ist doch ihre stärke.wer schon vor der buchveröffentlichung bei youtube ihre kleinen wunderbaren werbeclips mit martin wuttkes sohn z.b. gesehen hat, (eine tolle kameraarbeit von kathrin krottentaler), der wußte sofort, dass helene hegemann hier kluge bis geschwollene bis aufgeblasene nonsenssätze des prenzlauer bergs und weit darüber hinaus von 6 bis 12 jährigen spielen und sprechen ließ. alleine bei dieser spiegelung hätte klar sein müssen, dass helene hegemann die von ihr sicher auch bewunderten, und gleichzeitig hinterfragten, und die von einer 17-jährigen auf dem erwachsenwerdentrip nachgeplapperten philosophischen redereien einfach mal durch ihren mund, ihr hirn und ihren geist hatte laufen lassen. völlig legal, jedem zu wünschen ! eigentlich ein ganz normaler vorgang, aber leider doch von sehr wenigen nur kraftvoll und anmaßend praktiziert. und ganz nebenbei auch manchmal sehr gesund, denn man muß nun nicht jede sexual- oder drogenpraktik selber erlebt haben, um endlich mitreden zu können… (sagt ernst jünger). außerdem hat sie genau das getan, was wir am theater, der oper und auch beim film und in der kunst immer tun: wir sammeln, probieren hin und her und behaupten sogar völlig begeistert, wir wären gerade noch näher an kleist als 240000 andere regisseure vor unserer zeit. ja die schauspieler behaupten sogar sie wären geil, kraftvoll, gemein, brutal, wären massenmörder, liebhaber oder ganz einfach menschenhasser… das geht übrigens am leichtesten, wie mir manchmal vorkommt… , obwohl sie dann doch eher ganz zerbrechliche seelchen sind, die froh sind in den theaterkliniken untergekommen zu sein. und vielleicht war das der einzige punkt, den helene hegemann da nicht so schnell benutzt hat, wie sie sonst ganz außerordentlich sehr schnell und gekonnt, sehr viele genres und gedanken benutzen und mixen kann. aber vielleicht wäre es dann wieder nur auf der bühne passiert. so aber ist die bühne endlich auch mal bei den ganzen einsamen schreibern vorbeigezogen, die da wochen-,monate-,jahrelang in ihrem kämmerchen an ihren worten und sätzen basteln, um dann endlich auf der frankfurter oder der leipziger buchmesse hinter einem vorhang zu warten, um dann endlich nach vorne zu treten, raus aus dem kämmerchen, um endlich zeigen zu können, dass sie so einsam und alleine, an der welt gelitten und gekratzt haben, dass unter umständen – und die sind nun wirklich sowas von selten – sogar ein guter roman, etwas poetisches oder eben auch etwas unverschämtes herauskommt. aber was dann? wieder ab ins kämmerchen? ich denke helene hegemann ist zum glück so vielseitig begabt, dass sie schon an einem neuen film arbeitet, oder an zwei neuen büchern, an einer tauschbörse für allgemeingut im netz oder ganz einfach mal in den arm genommen wird, um dieser wirklich so unverschämt vollgerotzten seele ein bischen schutz zu geben. natürlich kenne ich sie, aber nicht so gut wie jetzt alle denken. und natürlich ist ihr vater mein hauptdramaturg, aber helene und ich haben eigentlich nicht so den direkten draht. und trotzdem habe ich mitbekommen, wie wahnsinnig verletzend dieser ganze unverschämte, aufgeblasene lügendreck eine junge, hochtalentierte frau in die bereiche dunkler überlegungen geführt hat. und da frage ich mich sowieso schon seit langem, warum diese gesellschaft soviel dreck ausschütten muß, um von sich selber abzulenken…. CS

Nachtrag zur Hegemann-Debatte

Was wirklich geschah

Von Peter Michalzik

Nein, bitte nicht noch mal den Axolotl. Wenn wir von irgendetwas in den Zeitungen der vergangenen Monate genug hatten, dann waren es Beiträge zur Hegemann-Debatte.

Im Prinzip kann man diese Debatte auf eine einfache Frage zurückführen, sie wurde so auch in einem Blog gestellt: Wem gehört das Wort “Vaselinetitten”? Es wurde verwendet von Helene Hegemann und eben zuvor von Airen in seinem Roman “Strobo”. Die Antwort auf diese Frage ist ebenso einfach und braucht keine Debatte: Einmal in der Welt, gehören die Vaselinetitten jedem. Wir wüssten aber schon gerne, wer sie auf die Welt gebracht hat.

Dass sie uns da nicht informiert hatte, daraus ergab sich der Vorwurf an die mittlerweile 18-jährige Helene Hegemann. Entsprechend der Schwere ihres Vergehens wurde dieser Vorwurf mit großer moralischer Wucht vorgebracht und eifrig diskutiert – und eben das war dann die Hegemann-Debatte, die wir damit gut sein lassen.

Wir wollen hier nur ein paar Daten nachtragen. Daten sind langweilig, und diese Daten hier haben auch noch den Nachteil, im Prinzip bekannt zu sein. Die erste Auflage von Helene Hegemanns Buch “Axolotl Roadkill” erschien am 20. Januar dieses Jahres. Die zweite Auflage wurde im Lager in Stuttgart am 1. Februar angeliefert und am 2. Februar fakturiert – hier wollen wir möglichst genau sein. Gedruckt worden war diese zweite Auflage, wie die anderen Auflagen auch, etwa vier bis fünf Tage zuvor, also sagen wir am 28. Januar. Die dritte Auflage ist dann am 8. Februar eingegangen und die vierte am 22. Februar.

Wie weithin in der Hegemann-Debatte bekannt wurde, hat sich Helene Hegemann in der ersten Auflage ihres Buches bei allen möglichen Freunden, Vorbildern und Inspiratoren bedankt, nicht aber bei Airen, dem Erfinder der Vaselinetitten und anderer Wörter, die Hegemann verwendet hat. Das hat sie
erst in der zweiten Auflage nachgeholt.

Und genau das war es, was ihr angekreidet wurde, nicht die Verwendung des fremden Wortes an sich, das tun ja alle, sondern der Versuch, damit unbemerkt durchzukommen und uns vorzumachen, dass sie sexuelle Erfahrungen und Drogenerfahrungen und Cluberfahrungen habe, die sie gar nicht hatte. Damit aber war sie des schweren Wortmissbrauchs und Vaselinetittendiebstahls und Vertrauensbruchs überführt. Diesem Umstand war die moralische Wucht geschuldet, mit der man auf Hegemann losging oder sie verteidigte.

Bekannt gemacht hatte die Angelegenheit, auch das ist bekannt, der Blogger Deef Pirmasens. Das geschah am 5. Februar. Wenn wir nun dagegen halten, dass die zweite Auflage, in der Hegemann sich bei Airen bedankte, bereits am 28. Januar gedruckt worden war, dass Hegemann mithin in der Zeit zwischen dem 20. Januar und dem 28. Januar Airen ihrer Dankliste hinzugefügt hat, und zwar von sich aus, fällt der gesamte moralische Aplomb, mit dem ihre Unterlassung bemerkt und kommentiert wurde, in sich zusammen.

Die Hegemann-Debatte war eine Luftnummer. Man diskutierte unter Voraussetzungen, die es gar nicht gab. Als sicher kann dagegen gelten: Hegemann wollte niemanden beklauen, sie wollte niemanden hinters Licht führen und sie wollte auch keine Worte missbrauchen.

Wenn man dann noch daneben legt, was sie in dem Interview gesagt hatte, das der Verlag den Presseexemplaren beigelegt hatte, fällt der Vorwurf gegen Hegemann, die mittlerweile vor allem als Plagiatorin berühmt ist, vollends in sich zusammen. “Das Buch hat wirklich nichts mit meinen eigenen Erfahrungen oder meinem eigenen Leben zu tun, und sobald mir unterstellt wird, das seien meine persönlichen Tagebuch-Einträge, kommt mir das direkt total übergriffig und wie ein Neutralisierungsversuch vor.” Da dachten alle, das sei geflunkert, um sich zu schützen und dem Vorwurf des billigen Biographismus zu entgehen, aber man wisse ja, wie das gehe.

Hegemann aber fuhr in ihrem Interview unbeirrt fort: “Es ist Fiction … Mir hat es einfach Spaß gemacht, bestimmte Sachen auszudenken und die mit bestehenden Fragmenten aus Filmen oder Zeitschriften oder Büchern oder Geschichten aus meinem Umfeld zusammenzufügen.” Das beschreibt ziemlich genau, was sie mit Airens “Strobo”, aber nicht nur mit “Strobo”, gemacht hat. Man wusste alles, sie hat nichts verheimlicht. Wo aber lag dann das Problem?

Ehrlich gesagt: Wir wissen es nicht und wollen auch nicht mehr darüber nachdenken. Offensichtlich hat sich das Feuilleton vor allem mit sich beschäftigt. Alles weitere überlassen wir einer späteren Germanistik, falls die sich noch dafür interessieren sollte.

Was bleibt? Erstens: Eine zu Unrecht beschädigte junge Autorin. Zweitens: Eine Bestätigung alter literarischer Frontlinien. Auf der einen Seite stehen die Verfechter einer gemessenen und immer angemessenen Sprache, die sozusagen die Wirklichkeit beherrscht. Auf der anderen Seite stehen die Fans einer Sprache, die von der Wirklichkeit durchgeschüttelt wird und die sie deswegen für authentisch halten. Drittens: Die Erkenntnis, dass die Literaturkritiker auch lieber junge Mädchen treffen als Bücher lesen. Viertens: Eine Verunklarung dessen, was Copy & Paste bedeutet und was ein Plagiat ist. Vielen Dank.

 

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