BRIEF AN EINEN UNBEKANNTEN KRITIKER – DAS PROGRAMMHEFT LIEGT LEIDER NOCH NICHT VOR ! wird nachgereicht…

Veröffentlicht am | Samstag, den 05.12.09 | Christoph Schlingensief

05 Dezember

Systemtheologe Johannes Hoff schreibt zum Manuskript von STERBEN LERNEN:

Das Manuskript hat mich wirklich beeindruckt. Habe mich immer gefragt was Christoph da zusammenbastelt, weil mir das in meinem abstrakten Philosophenkopf als so unkalkulierbar erschien. Der Text ist besser als alles was ich mir ausdenken könnte. Mich erinnert das Ganze irgendwie an die Mysterienspiele des Spanischen Barock. Die wurden ja an Fronleichnam aufgeführt. Prozession mit “großem Welttheater”.

(Dr. Johannes Hoff – Lecturer in Systematic & Philosophical Theology – Director of the Centre of Faith, Reason, and Ethics – MA, Dipl. theol., PhD, Dr. habil – University of Wales, LampeterLampeter, Ceredigion – SA48 7ED, UK)

Lieber unbekannter Kritiker,

wir kennen uns schon ziemlich lange. Und deshalb möchte ich ihnen unbedingt kurz schreiben.

Wie ich vermute, haben sie einen meiner soloabende sehr gemocht. Und natürlich denken sie als langer beobachter an die “wilden zeiten auf der documenta oder in hamburg bei der bahnhofsmission, usw…”

Für mich ist das aber eine superlange ewigkeit her, und die prozession am gestrigen abend steht in keinem bezug zu diesen früheren aktionen, sondern erinnert an die mysterienspiele, die johannes hoff da oben erwähnt!

“Sterben lernen” ist auch keine wiederholung von krebsbefunden, sondern erzählt von der zeit nach dem krebs, auch wenn herr andersen in 60 Minuten sterben wird. und deshalb werden aus 60 erst 7 sekunden und dann auch mal 90 minuten. hier geht es eben nicht um eine wiederholung der medizinischen krankengeschichte, sondern um den kampf mit und um gott und um die gedanken, die wie ich im stück selber sage, im gespräch mit dem systemtheologen johannes hoff entstanden sind. die frage nach gott, die hoffnung einen neuen frieden zu finden, aber nicht mehr im märchenpark der evangelischen oder katholischen kirche, sondern in der befreiung von menschlichem wahn hin zum unlimitierten gott. (siehe meister eckhard weiter unten auf dieser seite!) ich habe hier die ersten 6 tage nur vorträge gehalten, aus denen dann der text gemacht wurde.
diese texte veröffentliche ich demnächst mal auf meinem schlingensiefblog.

Die von Ihnen genannten zitate machen nur knapp 10 % aus und sind sogar meist nur bezugsfelder des genannten systemtheologen johannes hoff, der am 6.12.2009 nach der vorstellung im neumarkttheater reden wird. Er hat diese zitate in mein leben gebracht, als ich nach dem zweiten metastasenbefund „fast nicht mehr leben konnte“… also mein gespräch mit Gott und die suche mit ihm kaum merh ertragen konnte. Vielleicht kommt ihnen das dumm vor, aber meine arbeit hatte doch sehr oft etwas christliches, etwas suchendes und auch predigerhaftes.

Für mich sind die texte wirklich existente fragen, und selbst die körperwelten von herrn hagen, hier gleich hinter dem schiffbau, da wo ich morgens meine Brötchen geholt habe, waren jetzt 5 wochen lang teil meiner gedanken.

Auch wenn ich auf der lesereise sehr sportiv und flott und lustig war, so sieht es drinnen sehr schwarz aus. Und ich kämpfe dagegen.Mir fällt es deshalb auch sehr schwer nach scientologen ausschau zu halten oder nach politischen schwachsinnsstellen, und schon der auftritt im pfauen war nur als nachhall aus früheren zeiten zu ertragen. Mir kommt das operndorfprojekt viel politischer vor, auch wenn ich mir durch meine tv-äusserungen vor der wahl im aussenministerium sehr vieles verdorben habe. Aber den mund halten konnte ich noch nie.

Also was soll ich sagen. ich komme nicht nach zürich, um hier an frühere aktionen anzuknüpfen, aber meine meinung sage ich auch ausserhalb des theaters. da, wo sie tatsächlich noch ein paar normale leute erreichen.
nein , ich kam nach zürich, weil ich hier vom neumarkttheater die möglichkeit bekommen habe, an den gedanken zu einem neuen christentum zu arbeiten. und carl hegemann hat das ganze erst durch seine kontakte ermöglicht; denn das neumarkt und auch das züricher schauspielhaus hatten beide kein budget für diese 3 abende und haben sich das mühsam zusammengespart. somit gibt es hier auch keine normalen theatergagen, aber dafür eine wunderbare familiäre atmosphäre, die mich aus der berliner depression rausgeholt hat.
In diesem abend werden dinge besprochen, die ich gerade in meiner seele herumschleppe und wo mir meister eckhard und cusanus als wirkliche freunde begegnen. Die intervention im pfauen oder wie man das nennen mag, scheint wohl für den weiteren ablauf ein glück gewesen zu sein.
Und meine meinung zum Minarettverbot und anderen dingen hier, habe ich schon in zwei tv-sendungen und zwei interviews sehr genau abgelassen, sodass sich die SVP schon wieder veranlasst sah auf meinen nichtakademikerstatus hinzuweisen. Das haben sie auch schon beim hamlet oder attabambipornoland gemacht.
Also nichts neues auf der reflexebene auf beiden seiten.

Machen wir uns doch nichts vor. Da müssen jüngere und viel undurchschaubarere Personen ran als ich oder Sie!

Und auf die musik und deren bedeutung sind sie gar nicht eingegangen… “Sterben lernen” ist doch sowas wie eine kleine Zimmeroper. Amfortas trifft auf tristan und isolde. und der hase zitiert hugo ball. aber gerade der bezug zu amfortas und zum liebestod ist neu.

Es ist wirklich schade,  dass sie so alte schablonen von 1997 auf meinen jetzigen zustand anlegen. schablonen,die ich schon lange nicht mehr will und auch nicht erfüllen kann. Ich liebe es hier zu sein, aber mein blick auf die welt ist größtenteils schwarz, und nicht weil ich krank bin, sondern weil mir vieles einfach etwas eklig vorkommt. Das war früher vielleicht auch schon, aber mittlerweile kann ich vieles nicht mehr so gut verdecken oder überspielen.

deshalb wird auch die musik am ende so ins zentrum gestellt. Wenn es um musik und diese neuen gedanken geht, dann nur in einer form, die mich und andere nicht mehr anschreit. so wie früher. das will ich nicht mehr und hoffe da auf ihr verständnis.

Ich hoffe, dass ich ein paar dinge erwähnen konnte, die sie vielleicht gesehen , aber nicht beschreiben wollten.

Ein schönes wochenende und bis zum nächsten Mal,

ihr christoph schlingensief

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