FASSUNG 3 – PREMIERE IN BRÜSSEL – Tonmann Dave liegt jetzt auch im Krankenhaus – Ist Lemky böse ?… – Hallo Taxi…. – Und Hegemann auf dem Weg der Besserung… – 2.Ausstellung ausgefallen – Gute Besserung an alle !

Veröffentlicht am | Sonntag, den 16.05.10 | Christoph Schlingensief

Wer die krise sucht, muß nicht unbedingt darin umkommen, aber man sollte sich zumindest nochmal mit seinem arzt besprechen, ob einem ein zustand eher schadet oder eher nutzen bringt. und was ich zu unser produktion: VIA INTOLLERANZA sagen kann, ist eigentlich nur das: noch nie waren soviele leute krank oder noch kränker als jemals zuvor. für mich ein glück, weil es von meinem ständig mitreisenden zweitthema ablenkt, andererseits eine furchtbare situation, weil hier wirklich dinge passieren, die an komischen zauber erinnern. hier muß jemand eine grabhöhle berührt haben, die nun ihre superviren ausschickt, um offene rechnungen abzurechnen. (eigentlich kommt da gerade der fluch des Tutanchamun in mir hoch und wahrscheinlich ist das diese grundangst: beschäftigst du dich mit dem dem anderen, dann kommst du darin um…) … um es nicht weiter spannend zu machen und so wird es auch am abend ganz direkt gesagt: thomas, der vorgesehene bühnenbildner dieser produktion (aber auch bei Hl.Johanna, Bayreuth, usw…) hat sich in unserer casting-zeit in burkina faso eine ruhrinfektion geholt. und nun war er auf der isolierstation, jetzt wieder zuhause, aber es will und will nicht besser werden.

eine lebensbedrohliche situation. und er steht auf dem programmzettel, weil er als guter geist immer die bilder von nonos aufführung , also diese realitäts-einblendungen auf runde, ekige formen durchgenommen hat… und bei uns sind es keine demobilder oder schutzschilde, die der chor oder auch die sänger (wie bei Nono) vor sich halten, sondern eben gardinen… die gardine als schutzschild… (ist sicher nicht leicht zu verstehen, aber so kommen die dinge manchmal zusammen)… Solche Dinge zu “erklären”, also auch eigene assoziationen einzubringen, erscheint mir bei Nonos theater/opernkontext absolut notwendig; gerade weil priviligierte menschen wie “du” und lemky solche zusammenhänge nicht mitteilen wollen, obwohl sie könnten… frau lemky sieht NONO als reinen vorwand, was aber nicht stimmt, weil mich seine distanzierung 1978 interessiert hat und eben nicht die musik. da steht auch nach Luigi Nono ! … Eine Übertragung ins 21.Jahrhundert wäre sicher eine schöne Uniaufgabe für angehende komponisten… Aber ich verstehe mich überhaupt nicht als musikgetriebener Komponist. Diese ganze moderne Avantgarde von heute ist mir eigentlich ausgesprochen suspekt. diese kleinen experimentellen inselchen, um auch mal ein kleines gefühl anders ausdrücken zu dürfen? das geht frau lemky doch ähnlich, oder nicht? Also eigentlich hat sie sogar recht. Aber einen Scheiterhaufen für NONO wegen der musikalischen zitate in VIA INTOLLERANZA? Wie bitte ? Das kann wirklich nur böse gemeint sein. auch die behauptung die werke würden nur ausschließlich aus sich selber bestehen. was ist denn das für eine abenteurliche kunstbetrachtung ? (kunstwerke ohne künstler sind sicher sehr interessant, aber äußerst selten). Interessant ist doch – und da hätte ich sogar gedacht, das sie das erwähnen würde, anstatt nach blödsinnigen parallelen zwischen INTOLLERANZA und VIA INTOLLERANZA zu suchen (Aino hat mir das gerade nochmal klargemacht.. in der ersten fassung hier bin ich viel zu sehr auf die NONOSCHIENE eingegangen… ) (wie übrigens damals der vorwurf, Fluxusfilme hätten nichts mit der “Kirche der Angst” zu tun. – später war das dann doch etwas klarer… )- Natürlich male ich keine ölschinken, die man sich bei aller schwere über jahrhunderte hinweg anschauen soll… Nono hat sich vom weg der “azione scenica” 1978 distanziert. und das finde ich toll! Diese “kunstform” war für ihn 1978 nicht mehr interessant oder vielmehr: wichtig. Und ich stimme völlig zu, das ich mir auch immerwieder die frage stelle und gestellt habe und auch stellen werde, welche formen des theaters eigentlich für meine und auch unsere gemeinsam entstandenen bilder zu gebrauchen sind. ich denke eher, es handelt sich nicht um leerstellen für irgendwelche renn-manöver: wer zuerst an welchem ziel war (eine absolut blödsinnige vorstellung von kunst und betrachtung). soll ich schilder aufstellen? warnschilder? oder leerstellen markierungen?, weil das medium theater an dieser stelle nicht das kann und was auch die oper nicht mehr schafft.(oder je geschafft hat ? aber sie hat schon was gekonnt… diese oper…, welche ? ) .. die zwischentitel sind zu 60 % aus nono-texten/interviews, usw… – aber eben als verweis auf seine entwicklung. auf die entwicklung eines künstlers, der den marsch der revolution untersucht hat, und dann eben nicht mehr weitermachen will. ginge es so ? und das eigentliche thema ist doch, wie ich bei anderen und sogar richtig toll bei nachtkritik.de lesen und mit-verstehen kann, sogar benutzt worden, um eigene assoziationen zu haben und nicht nur nach der verwertbaren PARTITUR zu rufen.. also an einem neuen thema mangelt es bei VIA INTOLLERANZA nun wirklich nicht, und das ich mich persönlich in die situation bringe, meinen ajetzigen Lieblingsbereich, nämlich das operndorf,  in frage zu stellen, soll in einer partitur enden? in einem stück?…. da sage ichaber mal : UFF….(Das muß ja grauenhaft an den Musikunis zugehen, wenn solche Ziele verfolgt werden. Freies Denken endet in Partituren! Soso,Nene… jaja—). Ich habe schon vor dem krebs das Nonogefühl von 1978 gehabt. und ich sehe nicht ein, das sie mich nur zart und weich empfinden, wenn ich gerade am seidenen krebsfaden hänge. die sache ist chronisch. das habe ich jetzt auch kapiert, aber deshalb denke ich ganz und gar nicht an vermarktung , sondern eher an einen ewigen makel, der mir die kraft reduziert, aber den blick schärft. ich äußere in diesem abend meine angst, den verbrüderungsdiskurs “weiß trifft schwarz” ohne die alten, auch abgegriffenen argumente und erlebnisse weiter zu gehen. die probenzeit war für alle eine ziemlich niederschmetternde angelegenheit. nicht, weil es nicht auch schöne dinge gab, aber es war eben immer diese “folkloresoße” an bord. und es war auch die sprach- und begriffsdiskrepanz kaum auszuhalten. ich kann mir nono 1978 genauso vorstellen. da versucht er revolutionen und ihre wirkung musikalisch darzustellen, und muß schon 1978 erkennen, das jede musikalische äußerung dazu sowieso schon lächerlich ist. ein schlager wie BANANA geht immer schnell auf und führt zu klatschmarsch-momenten. aber gerade, wenn man innerlich verkrampft, weil einem der „angeblich gerechte kampf“ plötzlich unangenehm und verlogen, überholt und doch noch führenswert erscheint, dann wird man entweder schizophren oder man stellt sich dieser auseinandersetzung mit den mitteln des mediums, die eigentlich immer auch mittel des missbrauchs sind. Mir gefällt das operndorfprojekt noch mehr als vor einem halben jahr . Und VIA INTOLLERANZA stellt vieles klar, was eben nicht passieren darf. vielleicht hämmert es nicht nur mir im kopf. Egal was wir schwarz/weiße gesellschaft an diesem abend anzetteln, egal was noch kommt. Es reißt für jeden von uns jede sekunde die frage wieder auf: (weiß) wie komme ich möglichst schnell wieder nachhause, da wo ich mich auskenne, und wo ich versichert bin. (schwarz):”ich war gerade beim ethnologen…” siehe schlußfilm mit dem jungen mädchen Kandy im Krankenbett. Genau das sind die geschichten dieses abends. „keiner hilft keinem“ von kippenberger… was für ein brutaler, anstrengender auftrag… und was für eine erholung. Am ende des abends marschiere ich im projezierten Film als Jodorowski-zauberer mit der burkinatruppe durch die savanne, ziehe mich bis auf die unterhose aus, gehe davon und rufe : TAXI! – also nichts wie weg hier… raus aus der hitze und ab in die warme wanne ! …. Hoffentlich hat meine europäische lebensversicherung noch nicht den vertrag gekündigt… Das ist eigentlich alles was vom taxifahrenden ballettänzer ahmed aus ouagadougou, der hier den europäischen kunstkodex lernen will, um endlich auch mal auf ein festival eingeladen zu werden, in mir übrigbleibt. Oder vielleicht ist das auch bloß unsere einzige verbindung. (und das war bei TAXIDRIVER wohl auch schon so… nur auf einem
anderen Kontinent (aber eben auch zu Nonos Zeiten)… das nur mal zu einem kurzen Musikzitat) –
Vielleicht ist der abend ein “zitatenabend”… ein tisch voller zitat-requisiten… auch da stimme ich zu, aber eben im positiven.
Und zum schluß noch etwas realitätsbezug! : Heute hat es unseren tonmann dave erwischt. Er ist vorgestern abend in ein loch am tonpult abgerutscht, hat sich den fuß aufgerissen und eine sehr schmerzhafte und wirklich superheftige blutvergiftung bekommen. Das krankenhaus hat ihn gleich eingesperrt und verabreicht ihm harte antibiotikas. Und carl hegemann ist seit 3 tagen wieder raus aus dem krankenhaus, aber auch noch immer kränkelnd…. Und ich habe heute abend versucht die töne auf ein anderes programm zu übertragen, aber um 19 uhr war meine batterie vollständig unter null. und die vorstellung kann ohne ton nicht laufen, weil sie für mich eine opernform hat, in der ,im gegensatz zu den vorgezeichneten wegen einer modernen oper (mit ihren kleinen experimentellen inselchen, die freiheit und vergeistigte emotionen darstellen sollen), auch die sprache der Burkinabes vorkommt… die sprache des NONO ! parolen, bananas, folklore und vorhang zu: wilfried (ein student , der gerade vom DAAD ein stipendium bekommen hat und deshalb in deutschland sein kann, und bei uns als dolmetscher und mitspieler dabei ist), unterbricht die laut applaudierenden zuschauer, die sich nun auf ein nettes junges mädchen aus burkina gefreut haben, die wie ihr älterer bruder: issouf, auf der bühne „etwas landestypisches „ singen will – jedenfalls hat das Issouf gerade so noch angekündigt, und alle waren aus dem häuschen… da zieht also wilfried den vorhang/die gardine einfach wieder zu und sagt: „ich glaube, das jede noch so lieb gemeinte humanitäre aktion in unserer zeit menschenfeindlich ist, weil sie den menschen auf eine vorgezeichnete bahn lenkt!“…. wünscht noch einen schönen geheuchelten abend und geht… das wort: „geheuchelt“ hat er eingeschmuggelt. Das war sein wortbeitrag (einer von vielen an diesem abend). Der rest war von rudi dutschke. Mit einer endlossfrage an marcuse. – tja— so haben sich die dinge ergeben. Und wir werden morgen wieder spielen. Und dann werden wir wie auch die tage zuvor sehen und spüren, ob wir uns wie 1978 fühlen oder noch einen neuen weg finden… im moment sagt nachtkritik.de: „Das Eigenartige an “Via Intolleranza II” ist vielleicht, dass Schlingensief diesmal einen Weg andeutet, sich herauszuhalten.“ Work in Progress der Bewusstseinswerdung, Kunst- und Lebensbefragung…. „und das finde ich im übrigens noch besser als bloßes richtig und gut! CS (ps: und hoffentlich sind bald alle wieder gesund!…)

 

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