MATTHIAS LILIENTHAL WIRD 50 !

Veröffentlicht am | Dienstag, den 22.12.09 | Christoph Schlingensief


 
(“Das Video wurde auf der Geburtstagsfeier gegen 1 uhr nachts aufgenommen.”)

Heute wurde matthias lilienthal 50 jahre alt. Als mein vater 50 wurde war ich ungefähr im selben alter wie matthias sohn paul, der heute abend mit seinen freunden die platten aufgelegt hat. Ja! Ich weiß noch, dass bei meinem vater damals ein drehorgelspieler in der dritten etage ohne aufzug im wohnzimmer landete. Alle freunde waren sehr laut und jeder frotzelte sozusagen über jeden… (diesen ausdruck gibt es für mich seit damals). Frotzeln meint, dass jeder jeden noch schneller hochnimmt als der vorgänger… und das erkläre man mal mit den worten frotzeln und hochnehmen einem ausländer. Ich habe nur sehr selten so ein schnelles feuerwerk erlebt wie damals zwischen meinem vater und seinen freunden. Vielleicht noch mit udo kier. Dessen begrüßung fing meist schon mit solch einer äußerung an: na, du siehst ja noch besser aus als unser dackel nach seiner letzten darmkolik… oder so ähnlich…, obwohl dieses beispiel nicht ganz stimmt. Antworten müßte man dann mit: naja zumindest merken das dackel im gegensatz zu so frisch gefönten pudeln… (wobei man dann das :“wie du“ einfach wegläßt)…. Mittlerweile kommt es mir so vor, als hätten wir diese schnelligkeitsübung verloren oder verlernt. Ich wüßte nicht wer sich soetwas noch länger durchhält als 2 minuten…. Am geburtstag damals dauerte es in meiner erinnerung mehrere stunden…. Vielleicht trauen wir uns auch nicht. Oder wir wissen einfach nicht mehr wie man über bande spielt…. Aber das soll hier eigentlich gar nicht stehen… hier soll eigentlich stehen, dass mich matthias lilienthal zum theater gebracht hat, indem er mich 1993 anrief und nach dem umstrittenen krieg mit TERROR 2000 meinte, so einer wie ich solle doch unbedingt mal ans theater kommen. Und als wir uns dann in der volksbühne getroffen habe, und ich herbert fritsch bei clockwork orange ansehen mußte wie er in 4 metern höhe über einem abgrund baumelte, da bin ich nach 50 minuten gegangen, zumal ich theater sowieso entsetzlich langweilig und bescheuert fand. Thomas meinecke hatte damals immer gesagt: theater zu parkhäusern, und das war auch meine meinung. Damals…. Na jedenfalls hat mich dann lilienthal im treppenhaus erwischt und wir haben dann ein wenig über theater und diesen übertriebenen körpereinsatz gestritten. Ich habe so argumentiert, dass ich an lebensgefährlichen versuchen von einzelpersonen nicht beteiligt werden möchte. Und erst recht nicht in einem so primitiven vorgang wie dem theater. Im kern ist es dabei auch geblieben. Noch heute finde ich theater eine der leider zu 90 % sinnlos genutzten flächen, die es gibt. Im vergleich zu frankreich, wo ich demnächst es machen soll, ist deutschland natürlich gesegnet, aber ich mag vergleiche sowieso nicht. Theater ist einfach zu 90 prozent extrem verblödet, weil es einem naturalismus nachhängt, der den kopf in keinster weise fordert. Da schreiben dann tatsächlich irgendwelche simplen gemüter wie ergreifend und sensibel manche darsteller irgendwas dargestellt haben. Tut mir leid, aber mich interessiert ein gedanke, eine philosophische seite der theatermedaille mehr als ein schwitzender leidensbeauftragter. Matthias hat das immer verstanden. Meine völlig verunglückten abenden waren meist die, wo ich dann auch mal „richtiges „ theater machen wollte. Und das sah dann auch so aus wie das kasperletheater von peymann , bzw. der schrott , der da im BE läuft. Warum man den da nicht endlich mal rauswirft. Ich verstehe es nicht. Dieser platz hätte wirklich eine intelligente auseinandersetzung verdient. Denn tief drin bin ich wertekonservativ! Ich will, dass man dankbar ist, wenn man flächen benutzen darf, die sogar von anderen ganz offiziell beobachtet werden. Lilienthal,… oder lili wie wir ihn nennen, hat das begriffen. Gebt ihm doch das BE ! die volksbühne ist auch für ihn zu hart… da hat er einfach zuviel gute sachen auf die beine gestellt und wurde zu bösartig verabschiedet. Das würde ich ihm nicht wünschen, aber gebt ihm das BE. Ich bin ja leider jetzt zu alt für diesen job, obwohl ich ehrlich gesagt auch spaß daran hätte. Lili hat das HAU nun ganz nach vorne gebracht. Am anfang war mir das auch nur eine wilde junge talente verbrennen-anstalt, aber nun sieht man wie aus den abgebrannten feldern ganz wunderbare der diskussion und auseinandersetzung geworden sind. Davon können so geistig limitierte wesen wie peymann wirklich nur träumen. Lili hat es geschafft, dass auch international nach seinem geschmack theatert wird. Und das team, das er da um sich gebaut hat, ist extrem freundlich, klug und voller einsatz. Jedenfalls was man so mitbekommt. Ich kann lili nur danken ! ohne ihn wäre ich beim film geblieben. Und das wäre nicht so gut gewesen. Denn vom deutschen film ist nun wirklich nicht mehr viel übriggeblieben… und da war das theater genau die fläche, die mich im kopf auf neue wege gebracht hat. Sicher hätten sich auch einige leute etwas ruhiger aufführen können , wenn ich da nicht gelandet wäre, aber alleine die tatsache, dass ich bereit 1993 an der volksbühne den einsatz von film, video und sogar LIVE-übertragung eingeführt habe, ist theatergeschichtlich nicht mehr zu verleugnen. Und wie man merkt bin ich darüber deshalb so stolz, weil für mich film und der einsatz von film nichts mit der reinen bebilderung vieler opern- und theaterabende zu tun hat, sondern vielmehr mit der lichtarchitektur albert speers, oder auch der film-/hörspielarbeit von Käutner und im entferntesten sogar mit wieland wagner. Ich denke auch max reinhardt ,piscator sollten da unbedingt mit leuten wie melies überblendet werden. Die erste videoliveübertragung gekoppelt mit film-licht-bestrahlung auf die körper auf das bühnenbild. Damals wirklich noch mit einem 16mm projektor im zuschauerraum und einem kleinen videobeam… also riesengroß und superklein von der leistung, aber gekoppelt mit einem technikwunder der volksbühnentechniker. Da hat keiner gemuckt. Da waren alle interessiert, wie sowas zu lösen ist! Und genau das ist das beste was einem haus passieren kann ! und genau das konnte lilienthal erzeugen: die notwendigkeit der überblendung. Und damit das hier kein nachruf wird , darf ich noch schreiben: lili danke für vieles, danke für deine lange freundschaft !, und danke für dieses letzte jahr 2009, wo du mich direkt nach kamerun begleitet hast, weil du angst hattest, dass ich das nicht durchststehe, was ja auch fast der fall gewesen ist. Matthias ich freue mich auf viele weitere arbeiten. Nicht unbedingt wieder ein wiencontainer, den du damals auch erstritten hast, aber vor allem  flächen, um theater auch etwas sagen zu lassen , was noch nicht ausformulierbar ist ! gedankenarbeit eben. Philosophie.. fragen über fragen… dein christoph!

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