Einwurf: Es geht nicht um tot, sondern wieder um irgendetwas Lebendiges.

Veröffentlicht am | Mittwoch, den 18.11.09 | Christoph Schlingensief

Und dann zu sagen, wir sehen jetzt mal wie die Muskeln da funktionieren, das hat aber bei ihm ja leider diesen ästhetischen Faktor, das was eine Beerdigung ausmacht, wenn man da die Leiche aufgebettet hat, dann sieht man, obwohl sie vorher schon zerbeult war, mit solchen Flatschern im Gesicht, dass sie wieder geschminkt ist und wieder so guckt als wäre ichs gewesen. Leichenkosmetik. Wie sagt man denn… Der Totengräber….Also die Firma, die hat ja im Katalog stehen: Mit Maske, ohne Maske.

Also du kannst das dann mieten, dann kommt die Maskenbildnerin und macht dich schön. Mein Vater hatte das Auge eingedrückt. Dass war beim Transport vom Bett, in der Leichenhalle mal so ein Ellbogen reingeraten, hatte so eine Delle nach innen und das sah einfach nicht schön aus. Furchtbar. Hätt ich das einfach nicht gesehen. Der war im Bett schöner als da auf dieser Ausstellung. Aber der Katholik braucht das.

Im Hinduismus ist ja auch so. Dass die Leichen dann da liegen und dann werden sie am Mund angezündet, weil der Atem da rausgeht. Der letzte Odem/Atem verschwindet und dann werden sie abgefackelt. Dann werden die Reste in den Fluss geworfen. Im Fluss warten schon die Leute, die Kinder vor allen Dingen,aber auch die Erwachsenen, rechen und versuchen dann aus dem Boden eventuell einen Goldring oder einen Goldzahn rauszufischen, den die Leiche hatte und den man ihr nicht rausgebrochen hat vorher, also solche Sachen.

Das ist immer noch die Frage des Zweckmäßigen, des Unzweckmäßigen.

Mozambique wo wir waren, da gabs den Vorsitzenden der Eisenbahngesellschaft, der hatte ein Mausoleum sich gebaut, das war so hoch wie das Ding, da drinn war so eine bestimmte Technik – sein Gesicht so rein gekratzt, das ist so dreidimensional rausgeragt, in den Marmor war so reingekratzt und ist wieder rausgeragt, dass es so spiegelte und das erinnerte so entfernt an diese Junctis Vulgaris, das hab ich da hinten drin-  die Figur die dich immer anguckt.

 Also wo du vorstehtst und sie guckt dich an /

und wenn da zwei davor stehen fragst du dich, guckt die jetzt den an oder mich? Und der glaubt genau das selbe. Und das ist so die Frage wer beobachtet jetzt wen. Und diese – Ich sehe was, was du nicht siehst, diese Ebene, davon leben Millionen, davon lebt Christentum, davon lebt unser Gottesverständnis, unser Todesverständnis, nicht, dass wir natürlich deshalb da sterben können, weil wir werden dann ja schon von anderen gesehen, von Leuten die früher gestorben sind oder von Göttern oder sonst was. Ich habe komplett – ich bin jetzt dabei nicht mehr von Gott sondern von Hypergott zu reden wenn ich bete, weil Hypergott hat für mich so was inklusives, das muss ich nicht mehr vermenschlichen, das ist eine Energiewolke oder sonst was, mehr ist das nicht und das ist für mich als Katholik extrem beruhigend, dass ich eine Energiewolke habe und nicht mehr einen Mann mit Bart oder irgendeiner der hier so Löcher in den Beinen, Füßen und hier noch ein Schlitzchen oder sowas so am Kreuz. Das ist jetzt alles eigentlich ok.

Diese Bilder sind ja da, die kommen auch immer wieder, das ist ja eine Art Schmußedecke die ich ein Leben lang mit mir rum schleppe, aber Hypergott, die Energiewolke ist das alles, wo auch der Atheist nicht mehr rauskommt, selbst die Behauptung des Nicht-Gottes, ist dann auch schon wieder die Frage der Beobachtung, also in der Beobachtung – ich bin ja letzten Endes ohne Gott da, ich kann das auch ohne aushalten – beobachte ich mich ja auch, guck mich ja auch schon an, unter dem Motto: Halt ich das durch, was wäre wenn, da hat ja auch ein Atheist irgendwelche Fragen. Und das ist schon wieder ein kleiner Türspalt zu der Möglichkeit, dass ein Außen einen beobachtet.

Und gleichzeitig auch wieder eine Lügennummer, weil man denkt: Naja, ich kann jetzt sterben, weil ich werd ja schon gesehen von jemand anderem. Auch in dem Moment des Todes und da kommt dann natürlich die Abrechnung, die High Noon Situation, aber High Noon gibt’s aber dann auch nicht mehr, sondern es ist dann einfach ein Wohlwollendes Abschiednehmen im Sinne von Energie geht nicht verloren, wenn ich hier sterbe kann ich mich immer noch als Partikel in irgendeiner Lichtwolke wiederfinden oder im 17.Universum, was weiß ich wie viele Universen noch herumfliegen.

Das ist ja schon mal sehr sehr schön wenn man sich vorstellt, man müsste alle Leute wiedertreffen – was ich ja auch in der Lesereise sage – dann hätte man ja überhaupt keine Zeit mehr, glücklich zu sein. Dann wäre man ja permanent gefangen in kurzen Momentaufnahmen von „Achja. Hallo. Wir kennen uns doch auch. Haben wir nicht mal zusammen gegessen. Genau!“ Und dann kommt ja der Papa auch schon wieder. Also wenn das so abläuft haben wir wirklich gar keinen Funken von sinnvoller Auflösung. Und das alles, das alles unter einen Hut zu kriegen bedeutet eben auch, beim Sterben lernen sich nicht nur zurückzuziehen, geh nur noch dahin meinen Atem zu beobachten, atme ein atme aus atme ein atme aus und das ist alles, da bin ich völlig weg, da hab ich nur noch meinen Körper und die Bilder in mir und dann bin ich halt der Mystiker und das Außen gibt’s nicht mehr. Das Außen gibt’s garantiert. Da kann er Gift drauf nehmen, dass er da unterm Baum sieben Jahre sitzt und meditiert, dass glaub ich nicht. Das geht heutzutage nicht. Wenn ich mich hier in der Einkaufszone setz unter einen Baum ist in 40min weg, weil sie sagen, du bettelst da.

Also auch dieser Vorgang geht nicht mehr auf.

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